Inzwischen sind wir bei NichtGenesenKids e.V. schon sehr geübt darin, Gespräche mit allen nur denkbaren Akteuren des Gesundheitswesens, der Forschung, im Schulbereich und diversen Behörden zu führen.
In der Regel hört man uns dabei zu, lässt uns ausreden und das Problem darstellen. Uns gelingt es auch, beim eigenen Bericht über unsere Situation – schließlich sind wir alle selbst als Angehörige betroffen – sachlich zu bleiben und auszuhalten, dass wir ständig davon erzählen, wie belastend die Situation für alle Beteiligten ist. Wie wenig man tun kann gegen die Erkrankung und welches Potenzial doch eigentlich viele in Deutschland bereits vorhandenen Unterstützungsmechanismen haben. Pflegegeld, Rentenpunkte für Pflegepersonen, Steuererleichterungen durch einen adäquaten Grad der Behinderung, sinnvolle Hilfsmittel wie Rollstuhl und Hausnotruf, Möglichkeiten wie Hausunterricht und Onlinebeschulung, Gewährung von Nachteilsausgleichen und vieles mehr. Alles da. Alles prinzipiell möglich und beantragbar. Alles bei Bewilligung zwar ohne Auswirkung auf die Erkrankung selbst aber doch eine absolut notwendige Hilfe für Krankheitsmanagement oder das Zünglein an der Waage zur Burnoutprävention bei pflegenden Eltern. Deutschland hat vielfältige gesetzliche Regelungen um Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen.
Theoretisch.
Praktisch sieht es tatsächlich so aus, dass vor allem aufgrund der Tatsache, dass vor allem ME/CFS als postvirale Erkrankung bei den meisten Menschen – und damit auch den meisten Akteuren im sozialen Netz – unbekannt ist. Die Erkrankung daher nicht richtig eingeordnet wird, der Unterstützungsbedarf nicht korrekt festgestellt wird, Krankheitsmanagement nicht verstanden wird. Erforderliche Hilfe somit unterbleibt.
Also klären wir auf. Nicht nur wir, auch andere Organisationen, die sich teils seit Jahrzehnten engagieren. Alles privat organisiert. Alles ehrenamtlich. Alles aus der Not der eigenen Betroffenheit heraus.
Was mich persönlich dabei eigentlich am meisten nervt, ist der immer wieder von Akteuren genannte Hinweis darauf, dass man für Problem X nicht zuständig sei. Für Schulprobleme sei man in Gesundheitsbehörden nicht zuständig. In Schulbehörden aber nicht für Gesundheitsprobleme. In Jugendämtern nicht für Diagnosen. Alles richtig.
Was aber, wenn die Probleme so zusammenhängen, dass eine klare Zuordnung schwierig ist? Dass ME/CFS eine Multisystemerkrankung ist, merkt man vor allem auch an diesem Problem! Es ist nicht nur der Körper des Erkrankten betroffen, auch der Rest des Systems ist in Bezug auf ME/CFS schwerstbetroffen und hat Bell 0.
Mein Highlight hierzu folgende Aussage: „Das ist ja wirklich furchtbar. Aber wir sind nicht zuständig. Das müssen sie dem medizinischen Sektor erklären.“
Aha. Ich als Mutter eines erkrankten Kindes soll also die Ärzte aufklären? Wo ist denn diese Zuständigkeit geregelt? Und vor allem wie sinnvoll ist das – Ärzte sind ja wiederum nicht zuständig für die Gewährung eines Pflegegrades oder eines Nachteilsausgleiches.
Ich selbst bin Beamtin – daher mit Zuständigkeitsüberprüfungen durchaus vertraut. Ich käme mir sehr merkwürdig vor, wenn ich jemanden in meinem Amt am Gang treffe, der mich nach dem Weg fragt und ich dann einfach antworten würde: „Für diese Auskunft bin ich nicht zuständig.“
Meine persönliche Zuständigkeit dafür, das komplexe „ME/CFS-kennt-keiner-Problem“ nicht nur für mich, sondern auch für andere zu lösen, leitet sich auf jeden Fall maximal aus meiner humanistischen Bildung ab. Die habe ich jedoch nicht allein genossen und lade daher alle ein, auch mal über den Tellerrand zu gucken. Vielleicht finden sie bei diesem Blick ja ihren Wertekompass wieder.
[Soleil Völkl, 17.07.2024]