Ethische und rechtliche Verantwortung in der Öffentlichkeitsarbeit

Achtung Triggerwarnung: In diesem Text wird ein sensibles Thema angesprochen. 

!!! Triggerwarnung !!!

In diesem Beitrag wird Suizid thematisiert 


In diesem Text wird das Thema Suizid angesprochen. 
Falls Sie selbst betroffen sind oder sich durch diese Inhalte belastet fühlen, wenden Sie sich bitte an eine vertraute Person oder an eine Hilfsstelle – z. B. die Telefonseelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222. 


Wir von NichtGenesenKids e. V. setzen uns u.a. mit unserem durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprojekt NGK4Family für Familien schwer betroffener Kinder mit Long COVID / Post VAC / ME/CFS ein. 
Wir verstehen die Verzweiflung vieler Betroffener und sehen die Notwendigkeit, auf den dramatischen Forschungs- und Versorgungsmangel aufmerksam zu machen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Verantwortung, darauf hinzuweisen, dass die Darstellung von Suizidalität im öffentlichen Raum ohne klare Triggerwarnung und Kontext ethisch, psychologisch und rechtlich problematisch ist – insbesondere im Hinblick auf Kinder, Jugendliche und psychisch belastete Personen. 
Solche Darstellungen bergen das Risiko von Fehlinterpretationen und können bestehende Stigmata gegenüber diesen Erkrankungen unbeabsichtigt verstärken. Deshalb distanzieren wir uns ausdrücklich von solchen Darstellungsformen. 

Unsere Position hierzu im Detail: 

Viele Familien und Betroffene mit Post-COVID, Post-Vac und ME / CFS erleben täglich, dass medizinische Versorgung, Forschung, Aufklärung und gesellschaftliche Unterstützung noch immer unzureichend sind. Dieses Leid ist real und groß. Wir verstehen, dass Menschen Wege suchen, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen – durch Kunst, Demonstrationen oder andere Formen des Protests. 

Wir unterstützen grundsätzlich alle Initiativen, die friedlich, respektvoll und würdevoll auf die Notwendigkeit besserer Forschung und Versorgung hinweisen. 
Als gemeinnützige Selbsthilfeorganisation tragen wir jedoch eine besondere Verantwortung für die Sicherheit und den Schutz unserer Mitglieder – darunter viele schwer erkrankte Kinder, Jugendliche und Eltern. 

Demonstrationen, bei der in begleitenden Pressemitteilungen ausdrücklich Suizidalität thematisiert und zugleich mit Installationen wie Leichensäcken gearbeitet wird – insbesondere ohne deutliche Triggerwarnung oder geschützten Kontext –, werfen aus unserer Sicht erhebliche ethische, psychologische und rechtliche Bedenken auf. Solche Darstellungen widersprechen den medienethischen Grundsätzen des Deutschen Presserats (Ziffer 8.7 des Pressekodex), wonach über Suizide nur mit großer Zurückhaltung berichtet werden soll, um Nachahmungseffekte und psychische Destabilisierung zu vermeiden. Auch wenn diese Grundsätze rechtlich nur für journalistische Medien gelten, entfalten öffentliche Aktionen mit entsprechender Symbolik und Kommunikation eine vergleichbare öffentliche Wirkung und sollten daher denselben Schutzprinzipien folgen. Die Bedeutung solcher Schutzmechanismen wird durch internationale Forschung untermauert (vgl. https://www.bmj.com/content/368/bmj.m575) die zeigt, dass unkontextualisierte Suiziddarstellungen das Risiko von Nachahmung erhöhen, während verantwortungsvolle Kommunikation präventiv wirken kann. 

Die Darstellung kann zudem den Vorgaben des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (§ 4 JMStV) zuwiderlaufen, der Inhalte untersagt, die Kinder oder Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnten. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und der Schutz Minderjähriger (§§ 22 ff. KunstUrhG) sind hier berührt, wenn Personen oder ihre Lebensumstände bildlich dargestellt oder assoziativ genutzt werden. 

Nach dem Bekanntwerden einer solchen Aktion wurden wir von mehreren Mitgliedern und Angehörigen persönlich kontaktiert, die sich durch diese Art der Darstellung getriggert oder psychisch stark belastet fühlten. Als Selbsthilfeorganisation sind wir verpflichtet, unsere Mitglieder und deren Familien vor solcher Belastung zu schützen – das ist Teil unseres satzungsgemäßen Auftrags und unserer ethischen Verantwortung. 

Ein weiterer zentraler Punkt ist die gesellschaftliche Wahrnehmung solcher Darstellungen: 
Wenn Suizidalität öffentlich als Symbol eingesetzt wird, wird außerhalb der Betroffenengemeinschaft oft nicht verstanden, dass diese Verzweiflung eine Folge der Unterversorgung einer schweren somatischen Erkrankung sein kann. 
Stattdessen entsteht – gerade in einem Umfeld, in dem ME/CFS noch immer verkannt wird – leicht der Eindruck, Suizidalität sei Teil der Erkrankung selbst. 
Dies kann ungewollt den psychosomatischen Deutungsbias verstärken, gegen den Betroffene, Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen seit Jahren ankämpfen. 
Damit droht genau das zu geschehen, was niemand beabsichtigt: dass ME/CFS, Post-COVID oder Post-Vac erneut fälschlich als psychische Erkrankungen wahrgenommen werden. 

Es geht nicht darum, Suizidgedanken oder Verzweiflung zu verschweigen oder zu negieren, sondern darum, sie im richtigen, geschützten Kontext zu thematisieren – etwa in Aufklärung, Therapie oder Forschung, nicht aber als öffentliches Protestsymbol. Öffentlicher Druck ist wichtig, doch er darf nicht die seelische Stabilität derer gefährden, für deren Rechte wir eintreten. Verantwortungsvoller Aktivismus bedeutet, Leid sichtbar zu machen, ohne neue Verletzungen zu erzeugen. 

NichtGenesenKids e. V. steht für Aufklärung, Schutz und verantwortungsvolle Öffentlichkeitsarbeit. Mit unserem Forschungsprojekt NGK4Family tragen wir dazu bei, Familien in dieser schwierigen Situation zu stärken und wissenschaftliche Erkenntnisse in die Versorgung zu bringen. Wir werden uns auch weiterhin für bessere Forschung, Versorgung und gesellschaftliche Anerkennung einsetzen – auf Wegen, die Würde, Sicherheit und Glaubwürdigkeit bewahren. 

Abschließend möchten wir unsere Ausführungen in der Form konkretisieren, dass wir die Forderung nach mehr Forschung und die finanzielle Förderung grundsätzlich unterstützen aber die Verbildlichung bzw. die Protestsymbolik in der o.g. Form nicht Bestandteil unserer Auffassung ist. 

[Oktober 2025]