Nebel im Kopf – Unheilbar krank: Avatar geht für Malene aus Kehl zur Schule

Beitrag in der Kehler Zeitung: Malene Aßling leidet seit einer Corona-Infektion an ME/CFS. Weil sie nicht mehr in die Schule gehen kann, nimmt ein Avatar an ihrer Stelle im Klassenzimmer Platz.

Familie Aßling hat sich entschlossen mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit zu gehen. In diesem Zuge entstand der folgende Artikel in der Kehler Zeitung (Mittelbadische Presse). Dadurch sollen mehr Mitmenschen über die Situation von Betroffenen informiert werden und somit die Erkrankung in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Mittelbadischen Presse – Kehler Zeitung


Der Artikel wurde am 02.08.2024 in der Kehler Zeitung unter der Rubrik “Kehl heute” veröffentlicht. Parallel wurde auch ein Online-Artikel erstellt und veröffentlicht.
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Text zur besseren Lesbarkeit digitalisiert:

Freitag. 2. August 2024

Malene (13) hat ME/CFS. Seit Ende 2022 kann die Kehlerin nicht mehr zur Schule gehen. Ein Avatar nimmt an ihrer Stelle Platz im Klassenzimmer. Durch ihn kann sie täglich am Unterricht teilnehmen. Foto: Christoph Breithaupt

Der Nebel im Kopf

Malene Aßling leidet seit einer Corona-Infektion an der unheilbaren Krankheit ME/CFS. Weil sie nicht mehr in die Schule gehen kann, nimmt ein Avatar an ihrer Stelle im Klassenzimmer Platz.

VON KLAUS KÖRNICH

Kehl. Corona hat das Leben von Malene komplett verändert. Die 13-jahrige Kehlerin hat oft keine Kraft aufzustehen. Normale Aktivitäten des Alltags sind kaum noch möglich. “Man hat einen Nebel im Kopf und ist die ganze Zeit neben der Spur”, erzählt sie und berichtet von weiteren Symptomen: Übelkeit, Bauch-, Kopf- und Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Schwindel, Atemnot. Ihre Krankheit fühle sich wie eine Grippe an, die nicht mehr weggeht.

Malene Aßling ist eine von rund 250.000 bis 300.000 Menschen (davon etwa 90.000 Kinder und Jugendliche), die an der unheilbaren neuroimmunologischen Multisystem-Krankheit ME/CFS leiden.

Die junge Kehlerin ist elf Jahre alt, als sie sich vor zwei Jahren mit Corona infiziert. Monate später treten Schlafprobleme auf: es ist ihr immer schwindelig. Sie schafft es immer seltener in die Schule. Erste Untersuchungen bleiben ohne Ergebnis. Die Ärzte sind ratlos. Da erfährt Mutter Nanna im Internet von Long-Covid. An der Uniklinik in Augsburg wird Malene mehrere Tage lang untersucht. “Die Folge war ein Crash”, erzählt die Mutter. Erst an der Uniklinik Freiburg erhält der Teenager die Diagnose: Myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS).

ME/CFS ist seit den 60er-Jahren von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt, aber kaum erforscht. Auslöser ist meist eine virale Infektionserkrankung. Es gibt bislang keine validierten Biomarker also biologische Merkmale, die man zum Beispiel im Blut messen kann. Die Diagnose muss durch das Ausschlussverfahren gestellt werden. Für eine gezielte Behandlung der Symptome gibt es bisher keine zugelassenen Medikamente, sondern nur Off-Label-Produkte. Auch Malene nimmt diese Medikamente. Seither hat sich ihr Zustand stabilisiert. Aber eigentlich, sagt Mutter Nanna, helfe vor allem “striktes Pacing”. Das bedeutet: Die wenige Energie, die den Patienten zur Verfügung steht, muss so über den Tag verteilt werden, dass man nicht an die Grenze stößt. Sonst verschlechtern sich womöglich die Symptome.

Seit Ende November 2022 kann Malene nicht mehr zur Schule gehen. Ein Avatar nimmt an ihrer Stelle im Klassenzimmer Platz. Der Mini-Roboter mit Videokamera verbindet sie mit ihrer Klasse. Zu Hause kann Malene über Tablet den Unterricht verfolgen und sich sogar zu Wort melden.

Es war für die Mutter ein langer steiniger Weg, bis der Avatar organisiert war, wie sie erzählt. Sie habe viele Ämter abgeklappert, vergeblich. Auch die Kasse zahlte nicht. Der Avatar, Kostenpunkt rund 4000 Euro, ist nur ausgeliehen – über ein Medienzentrum. Anfangs hat sich Malene so über “Malene 2.0”, wie sie den Avatar nennt, gefreut, dass sie wieder ganze Schultage mitgemacht hat. “Doch dann kam im November wieder ein Crash”, sagt sie. Davon hat sie sich bis heute noch nicht ganz erholt. Jetzt nimmt die Schülerin meist nur an den Hauptfächern teil. Einmal in der Woche geht sie in die Schule, “dann kann ich mich mit meinen Freunden unterhalten”, erzählt Malene. Sie und ihre Mutter sind voll des Lobes über die Oberlin-Schule Kork. Beide sprechen vom “Glück”, dort so viel Unterstützung erfahren zu haben.

Über die Selbsthilfegruppe “NichtGenesenKids e.V.”, in der sich auch Nanna Aßling engagiert, hat Malene Kontakt zu anderen betroffenen Kindern. Die liegen oft den ganzen Tag in einem abgedunkelten Zimmer im Bett, manche können nur Minuten am Stück sprechen. Malene Aßling und ihre Familie hoffen, dass die 13-Jährige von dieser “Abwärtsspirale” verschont bleibt.

https://nichtgenesenkids.de


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