In einem Vorstellungsgespräch nennt man als eigene Schwäche gern Ungeduld. Wer ein Arbeitsergebnis nicht geduldig erwarten kann, gilt als fleißig und zielstrebig.
Als Mutter eines von ME /CFS betroffenen Kindes kann Ungeduld als Charaktereigenschaft einen recht schnell in den Wahnsinn treiben. Wie schon in früheren Beiträgen beschrieben und vielen von euch aus leidlicher Erfahrung bekannt, ist ME /CFS mangels Behandlung nichts, was rasch vorbeigeht. Man kann auch nicht durch Disziplin und Ausdauer schneller zum Ziel kommen. Es dauert solange es dauert. Dies auch nur ansatzweise zu akzeptieren, verlangt Geduld.
Das ist phasenweise wirklich äußerst schwierig. Tatenlos zuzusehen bei etwas, was nicht gut läuft, ist so gar nicht meins. Ich neige eher dazu, mich nicht abwartend klaglos ins Schicksal zu fügen, sondern alternativ eine deutschlandweite Elterninitiative mitaufzubauen. Und dazu trotz vorheriger Social Media Verweigerung urplötzlich überall Profile anzulegen und dann von diesen vom Politiker bis zum Arzt alle anzuschreiben, von denen ich entweder die Kompetenz zur Abhilfe oder zumindest eine gewisse Zuständigkeit für die Thematik erwarte.
Würde ich meinem früheren Ich jetzt noch erzählen, dass ich mir nette Affirmationskarten für positive Gedankenausrichtung aufstelle und einen Verein mitgegründet habe um dort im Vorstand tätig zu sein, sähe ich es ungläubig die Augen aufreißen. Das alte Ich fragt sich gerade, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe.
Ich schaue mein früheres Ich an und sage, warte mal, was noch alles kommt! Vielleicht lernst du ja auch noch Geduld!
Deshalb: seid nicht so streng mit euch, wenn ihr keine Geduld habt oder andere Schwächen euer eigen nennt. Immer wieder beeindruckt mich, wieviel die Eltern in der NichtGenesenKids Community auf sich nehmen und wie oft sie über ihren Schatten springen. Da werden Aufklärungsvorträge in der Schule gehalten oder sich akribisch in medizinische Details eingearbeitet. Engagiert mit gesunden Zutaten gekocht und Beschäftigungen für bettlägerige Kinder gesucht.
Macht weiter so und lasst mal euer früheres Ich das jetzige anschauen und staunen, welche Stärke es entwickeln konnte.
[Soleil Völkl, 31.1.2024]