Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch und versuche jeder Misere irgendeinen Sinn abzuringen während ich meinen Fokus darauf lege, achtsam durchs ME /CFS Universum zu dackeln.
Diese Woche gelingt mir das irgendwie nicht so richtig. Die negativen Aussagen des Umfelds in unserem NichtGenesenKids Awarenessmonth sind immer wieder Tritte vors Knie.
Ganz nachdenklich gemacht hat mich aber eine Doku über einen Tag in Haft in einer Justizvollzugsanstalt. Zu Bildern hinter Backsteinmauern und Stacheldraht wird berichtet, dass die Insassen um 6:00 geweckt werden, frühstücken, dann arbeiten, Pausen haben, Mittagessen bekommen, noch etwas arbeiten, dann ab 17:30 Freizeit haben, zu Abend essen und ab 19:45 in die Zellen gesperrt werden. Das gezeigte Umfeld ist trist, komfortabel sieht es auch nicht aus und Freiheit ist was anderes.
Dennoch erwische ich mich dabei, kurz zu denken, dass ich zu meiner Erholung glatt zwei Wochen tauschen würde. Oder vier. In der Freizeit ein Buch lesen können, ungestört arbeiten. Essen bekommen und im Hof spazieren gehen. Soviel habe ich an den meisten Tagen ehrlich gesagt nicht.
Ich arbeite im Homeoffice, sechs Meter und eine Wand von meinem pflegebedürftigen, schulunfähigen Kind entfernt. In einer ganz normalen Alltagswoche koche ich täglich mehrfach, fahre einen Tag live in die Arbeit und gehe Sonntag mit meiner Freundin spazieren. Ansonsten wechseln mein Mann und ich uns bei der Pflege ab, auch nachts. Freizeit haben wir beide nicht wirklich.
Natürlich möchte ich weder einen Haftalltag beschönigen noch mich ins Gefängnis wünschen. Allerdings hat mir die Doku erneut die Augen darüber geöffnet, wie wenig möglich ist. Wie gefangen wir sind. Wie klein der Radius ist in dem wir uns bewegen können. Ich werde weiterhin das Positive suchen und finde es auch jeden Tag. Das Glas ist zu 51 %voll. Aber eben auch zu 49% leer.
Liebe Blogleser, einige schreiben mir fleißig, wie gut sie finden, dass ich immer auch was Positives sage, ich hoffe ihr findet es diese Woche und schreibt es hier drunter. Und denkt dran: positiv bleiben heißt nicht, keine negativen Gedanken zuzulassen. Sie sind wichtig. Sonst lügt man sich selbst an.
[Soleil Völkl 5.2.2024]